Verrückte Gesellschaft, gesunde Zivilisation

Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe wird durch gemeinsame Überzeugungen definiert. Gemeinsame Religion, gemeinsame Nationalität, gemeinsame Moral. Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe basiert niemals auf der Realität. Es gibt zum Beispiel keine Gruppe, die sich durch ihren Glauben an die Schwerkraft identifiziert. Das Konzept ist zu universell. Was es bedeutet, eine Gruppe zu sein, ist eine Minderheitenüberzeugung oder eine umstrittene Überzeugung zu vertreten.

Eine Religion, die einer kritischen Analyse unterzogen wird, ist ein solches Glaubenssystem, um das sich eine soziale Gruppe bilden kann. Selbst in einer Region, in der alle Menschen einer Religion angehören, entstehen die einzigen sozialen Gruppen aus Splittergruppen und Konfessionen. Je verrückter der gemeinsame Glaube ist, desto stärker wird der Zusammenhalt der Gruppe. Und warum? Die Gruppe fühlt sich ausgegrenzt und verfolgt und formiert sich daher zu ihrer Verteidigung. Daher ist jeder verrückte gemeinsame Glaube in der Defensive oder glaubt, es zu sein.

In der Wissenschaft gibt es keine sozialen Gruppen. Es gibt zwar Fachgesellschaften, aber keine bietet die Art von sozialer und wirtschaftlicher Unterstützung wie eine Religion derselben Größe.

Fußgänger haben keine sozialen Gruppen. Andererseits bilden Live-Action-Rollenspiel-Gruppen wie Vampire: The Masquerade oder Dungeons & Dragons durchaus Gemeinschaften. Es gibt mehr Fußgänger:innen als Vampire, obwohl Fußgänger:innen sind durchaus stärker gefährdet sind.

Jede Gruppe ist also eine Verrücktheit, die sich gegen eine andere Verrücktheit (oder gegen die Realität) verteidigt. Wer nicht Mitglied einer verrückten Gruppe ist, ist dennoch dem kollektiven Handeln verrückter Gruppen ausgesetzt. Der Grund dafür ist, dass kollektives Handeln real ist. Es verändert die Realität, auch wenn es nicht durch die Realität motiviert ist: Ein heiliger Krieg ist trotzdem ein Krieg – die Verfolgung der Sünde ist trotzdem eine Verfolgung.

Fassen wir es einmal zusammen: Warum Logik und Wahrheit niemals über eine Gesellschaft siegen werden, ist darin begründet, dass es keine Gesellschaft geben kann, die auf Dingen beruht, die selbstverständlich sind. Wenn das möglich wäre, wäre es schon geschehen; Logik und Wahrheit sind keine neuen Konzepte.

Zivilisation ist ein anderes Phänomen. Sie ist die Beziehung, die die Menschen kollektiv zur Realität haben. Die Zivilisation bestimmt, wie die Menschen die Ressourcen verwalten und den Nutzen verteilen. Eine Zivilisation stellt die Institutionen bereit – die Post, die Schulen, das Essen, die Werkzeuge – und das funktioniert mit allen Arten von Verrücktheiten. Sie bestimmt, wie sie Differenzen untereinander regeln, und zwar auf eine Weise, der alle verrückten Gruppen zustimmen können.

Nissa Tolton ist Autorin von historischen und zeitgenössischen Romanen.

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